Ein detaillierter Report von Human Rights Watch belegt die Kooperation westlicher Geheimdienste mit dem Gaddafi-Regime. Im Gegenzug für andere Informationen übergaben die CIA und der britische MI6 mehrfach Gegner der Diktatur an Libyen. Folterung der Gefangenen wurde in Kauf genommen.
Das Dokument mit der Nummer WT/04-00031 vom 6. März 2004 kommt schnell zum Punkt. Gleich unterhalb der Einstufung als “Geheim – Herausgabe nur an Libyen” steht das Ziel der Operation, “die Planung der Festnahme und Überstellung von Abdullah al-Sadiq”. Gemeinsam mit seiner im vierten Monat schwangeren Frau, so das Memo, werde dieser in naher Zukunft von Malaysia aus über Bangkok nach London reisen. Dort sei geplant, “Kontrolle über das Paar zu erlangen und es in ein Flugzeug für die Reise in Ihr Land zu setzen”.
Das Schreiben wurde, darauf deuten jedenfalls Sprache und Stil des Memos hin, von einem Agenten des US-Geheimdienstes CIA formuliert. Adressat ist der libysche Geheimdienst in Tripolis, für dessen Kooperation sich der amerikanische Dienst sogleich höflich bedankt. “Wir wissen es zu schätzen, dass Sie unserem Dienst direkten Zugang zu al-Sadiq für Verhöre gestatten, sobald er in Ihren Händen ist”, so das Schreiben. Libyen müsse vor der Überführung lediglich formal zusichern, so die CIA, dass der Gefangenen menschenwürdig behandelt werde.
Das Dokument, das offen wie nie zuvor bekannt eine der umstrittenen “renditions” durch die CIA beschreibt, haben Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) nach dem Fall des Gaddafi-Regimes im Büro des Ex-Geheimdienstchefs Mussa Kussa gefunden. Neben vielen anderen Memos belegt es ein für die USA und Großbritannien wenig schmeichelhaftes Freundschaftsverhältnis mit dem für seine Brutalität gefürchteten Geheimdienst Libyens. In dem Report “Delivered into Enemy Hands” wird diese Kooperation nun so detailliert wie noch nie beschrieben.
Das übliche Prinzip vom Geben und Nehmen
Was die HRW-Rechercheure herausgefunden haben, ist ein internationaler Skandal. Allein die gefundenen Dokumente belegen, dass die CIA um das Jahr 2004 herum 14 von ihr im Ausland festgesetzte Regimegegner an Libyen auslieferte und sich nur formal für die Einhaltung der Menschenrechte während der Haft dort interessierte. Wichtiger schien den Agenten und der CIA-Führung, dass die Libyer alle Ergebnisse von Verhören an die USA weitergaben und den Amerikanern immer wieder auch selbst Zugang zu den Gefangenen erlaubte.
Der Report führt zurück in die Zeit nach den verheerenden Terroranschlägen des 11. September in den USA und beleuchtet, wie die Amerikaner für Informationen über Aktivitäten von mutmaßlichen Terroristen vor fast nichts zurückschreckten. Das Gaddafi-Regime, dessen Geheimdienst beste Kontakte zu Terrorgruppen in verschiedenen Ländern unterhielt, schien da ein idealer Partner: Der Diktator diente sich dem Westen wieder als Partner an – er sagte sich von der Produktion von Massenvernichtungswaffen los.
Die Kooperation erfolgte laut den Dokumenten nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens. Fast alle von den USA festgesetzten Personen waren Mitglieder einer islamistischen Widerstandsgruppe in Libyen, einige hatten auch am Krieg der Mudschahidin gegen die Russen in Afghanistan teilgenommen. Obwohl sich die Aktivitäten der Gruppe nicht gegen den Westen richteten, schnappte die CIA die Männer und lieferte die Feinde Gaddafis an dessen Regime aus. Im Gegenzug übergab Libyen offenbar Informationen über andere Terroristen.
Die CIA soll in mehreren Ländern geheime Gefängnisse betrieben haben
Das Prinzip, unter Kritikern der CIA auch als “Folter-Outsourcing” bekannt, war damals durchaus üblich. In mehreren Ländern soll die CIA geheime Gefängnisse betrieben haben, die formal unter der Hoheit der jeweiligen Regierungen standen und am Ende doch nur zur exzessiven Befragung von CIA-Häftlingen dienten. Vor seinem Abgang hatte George W. Bush versichert, dass diese sogenannten “ghost sites” geschlossen worden sein, doch bis heute ist nicht aufgeklärt, wo diese waren und was dort genau passierte.
Nach dem Fall des Gaddafi-Regimes fanden die Rechercheure viele der von der CIA übergebenen Gefangenen, einige von ihnen haben heute prominente Positionen in der neuen libyschen Führung. Detailliert berichten sie, wie sie in Libyen unter brutalen Methoden verhört wurden. US-Agenten seien manchmal bei den stundenlangen Befragungen anwesend gewesen. Im Fall von Abdullah al-Sadiq, heute besser bekannt als Abd al-Hakim Belhadsch, läuft bereits ein Gerichtsverfahren gegen Großbritannien, da die Briten bei seiner Festnahme geholfen haben sollen.
In den USA könnte durch den Report das mühsam geschlossene Kapitel der CIA-Folter unter Präsident George W. Bush erneut aufgeschlagen werden. Stimmen die Aussagen von zwei von HRW befragten ehemaligen Gefangenen, wurden sie vor ihrer Überstellung nach Libyen von dem US-Geheimdienst an geheimen Orten in Afghanistan massiv gefoltert. Sehr konkret beschreiben die beiden Männer die brutale Verhörmethode des “waterboarding”, bei dem der Gefangene auf ein Brett geschnallt wird und ihm so lange Wasser aufs Gesicht gegossen wird, bis er das Gefühl hat, zu ertrinken.
Auch Emissäre aus Europa sollen die Gefangenen verhört haben
Bisher haben die USA nur drei Fälle der berüchtigten Foltermethode eingestanden, die Betroffenen sitzen immer noch im Anti-Terror-Knast in Guantanamo Bay auf Kuba. Die neuen Aussagen scheinen aber nun zu belegen, dass das Folterprogramm der US-Regierung wesentlich umfangreicher war als bisher bekannt. Bis heute gibt es kein Gerichtsverfahren, das sich mit den Methoden des CIA beschäftigt. Erst kürzlich gab das Justizministerium bekannt, die Ermittlungen hätten keine Beweise ergeben. Die neuen Erkenntnisse jedoch könnten hier für Bewegung sorgen.
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06. September 2012, 17:48 Uhr
Von Matthias Gebauer
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