Er warb den Lockerbie-Attentäter an und ließ Tausende Regimegegner hinrichten. Abdullah al-Sanussi war 30 Jahre lang Gaddafis Geheimdienstchef, nun erwartet ihn in seiner Heimat der Prozess. Das Verfahren könnte neue Details über die libysche Kooperation mit westlichen Diensten liefern.
Tripolis – Der Mann, der seit einem Jahr von Interpol gesucht wurde, verbrachte die vergangenen Monate in einer Villa am Stadtrand von Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott. Es war ein Leben in einem goldenen Käfig, denn seit seiner Festnahme im März dieses Jahres stand Abdullah al-Sanussi unter Hausarrest. Am Mittwoch lieferte ihn Mauretanien an Libyen aus. Dort steht dem einst ebenso gefürchteten wie verhassten Ex-Chef des libyschen Geheimdienstes nun ein Prozess bevor, der für ihn mit dem Tode enden dürfte.
Nachdem der Gefangene mit ungewohnt langem und ergrautem Bart in Tripolis gelandet war, sagte Libyens Ministerpräsident Abd al-Rahim al-Kib: “Die libysche Regierung hat Gaddafis rechte Hand überstellt bekommen.” Sanussi sei für fast alle Verbrechen des gestürzten Regimes verantwortlich gewesen und werde nun dafür zur Rechenschaft gezogen. Deshalb werde ihm in Libyen der Prozess gemacht, auch wenn der Internationale Strafgerichtshof am Donnerstag erneut seine Auslieferung nach Den Haag verlangte.
Doch wenn Sanussi in dem Verfahren wirklich auspackt, drohen auch den westlichen Geheimdiensten peinliche Enthüllungen. Am Donnerstag veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht, in dem detailliert geschildert wird, wie der US-amerikanische und der britische Geheimdienst mit Sanussis Schergen kooperierten.
Ein französisches Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit
In einem öffentlichen Prozess in Libyen könnte Sanussi diesen Vorwürfen nun neue Nahrung geben. Denn fast vier Jahrzehnte lang war er einer der mächtigsten Männer in Muammar al-Gaddafis Reich. Der Beduinensohn gehört dem Volksstamm der Magarha an, der Gaddafi 1969 bei seinem Putsch gegen König Idris unterstützte. Spätestens Ende der siebziger Jahre stieg Sanussi in den engsten Führungskreis des Landes auf, als er Fatima, eine Schwester von Gaddafis zweiter Ehefrau Safia, heiratete.
Und Sanussi war seinem Schwager stets treu zu Diensten. Studentenproteste in Tripolis und Bengasi ließ er niederschlagen und die Anführer öffentlich hinrichten. Tausende andere Regimegegner landeten hinter Gittern und wurden gefoltert. Lange nahm die Welt kaum Notiz davon. Dies sollte sich erst ändern, als 1988 der Pan-Am-Jumbo, Flugnummer 103, über dem schottischen Lockerbie explodierte. Den 2001 als Attentäter verurteilten Abdel Basset Ali al-Megrahi hatte Sanussi zuvor für den Geheimdienst angeworben. Megrahi gehörte demselben Stamm an wie Sanussi.
Auch für den Bombenanschlag auf einen Linienflug der französischen Airline UTA im September 1989 soll der Ex-Geheimdienstchef verantwortlich sein. Bei der Explosion über dem Niger kamen alle 170 Insassen ums Leben, darunter auch die Frau des US-Botschafters im Tschad. 1999 verurteilte ein französisches Gericht Sanussi in Abwesenheit. 2003 soll er zudem den Mord des damaligen Kronprinzen und heutigen Königs von Saudi-Arabien, Abdullah Bin Abd al-Asis, geplant haben.
In Libyen wird sein Name jedoch nicht in erster Linie mit Lockerbie in Verbindung gebracht, sondern mit Abu Salim. In diesem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Tripolis waren die meisten politischen Gefangenen Libyens inhaftiert. 1996 revoltierten die Häftlinge gegen die Folter und die unmenschlichen Bedingungen. Senussi soll als Geheimdienstchef den Befehl gegeben haben, den Aufstand mit aller Brutalität niederzuschlagen. Überlebende berichteten später von Massenerschießungen, bei denen insgesamt etwa 1200 der knapp 2000 Gefangenen getötet worden sein sollen.
Gaddafi feuerte ihn nach Ausbruch des Aufstands
Dieses Massaker dürfte im Mittelpunkt des Prozesses gegen Sanussi stehen. Doch seine Aussagen könnten auch das Verfahren gegen Gaddafi-Sohn Saif al-Islam beeinflussen. Wann der Prozess in der Stadt Sintan beginnt, ist derzeit noch unklar.
Ehemalige Vertraute aus dem Umfeld der Diktatorenfamilie beschreiben Sanussi als eine Art Mentor von Saif al-Islam. Beide haben die Öffnung des Landes zum Westen in den Nullerjahre maßgeblich vorangetrieben. Die Zusammenarbeit mit CIA und MI6 war da nur ein Aspekt. Sanussi war auch der Gaddafi-Getreue, der westlichen Staaten aus mancher Not half. So soll er bei der Entführung der deutschen Familie Wallert auf den Philippinen zwischen Bundesregierung und den Entführern der Terrorgruppe Abu Sayyaf vermittelt haben. Saif al-Islams Stiftung zahlte damals 25 Millionen Euro Lösegeld. Im Gegenzug machte Außenminister Joschka Fischer im September 2000 der libyschen Regierung seine Aufwartung.
Sanussi war auch eine wichtige Kontaktperson der PR-Firma Monitor Group, die Saif al-Islam dabei half, einen Doktorgrad an der London School of Economics zu erwerben. Nach Informationen der “Financial Times” stellte der Vorstandschef der Monitor Group Sanussi zudem einen Plan vor, der “das internationale Verständnis und die Wertschätzung Libyens verbessern” sollte.
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07. September 2012, 09:01 Uhr
Von Christoph Sydow
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