Noch immer behauptet die Bundesregierung eisern, sie habe von den US-Schnüffelprogrammen erst kürzlich erfahren. Nun wird klar, dass der BND schon vor Jahren gezielt in den USA nach gespeicherten Daten von entführten Deutschen fragte – und sie auch bekam.
Berlin – Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat in den vergangenen Jahren immer wieder von der Sammelwut der US-Geheimdienste im Internet profitiert und offenkundig von der kompletten Speicherung auch deutscher Daten gewusst. Unter Berufung auf US-Geheimdienstler berichtete die “Bild”-Zeitung am Montag, der deutsche Dienst habe bei Geiselnahmen im Jemen und Afghanistan in den vergangenen Jahren mehrfach gezielt um die von der NSA gespeicherten Internetdaten der Entführten gebeten. So sollten die letzten Kontakte der Gekidnappten und mögliche Hintergründe des Verschwindens recherchiert werden.
Was sich wie eine selbstverständliche Amtshilfe unter befreundeten Diensten anhört, hat weitreichende Implikationen. Da der BND sich direkt wegen der gespeicherten Daten an die US-Kollegen wandte, müssen die Deutschen von dem Speicherprogramm der Amerikaner gewusst haben. Ebenso muss dem Geheimdienst klar gewesen sein, dass die USA auch deutsche Kommunikation standardmäßig speichern.
Die neuen Fakten passen nicht zur angeblichen Ahnungslosigkeit der deutschen Regierung bis hoch ins Kanzleramt. Diesem ist der BND direkt unterstellt. Von dort ließ Kanzlerin Merkel noch in der vergangenen Woche mitteilen, sie habe erst aus der Presse vom Abhörprogramm Prism erfahren. Seit Anfang Juni enthüllt der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden immer wieder Details über die Praktiken der internationalen Geheimdienste (eine Chronik der Affäre finden Sie hier).
Für den BND waren die US-Daten sicherlich hilfreich. Bei Entführungen sind vor allem die letzten E-Mails und Telefongespräche wichtig. An ihnen kann man ablesen, ob die Opfer bedroht wurden, es geschäftliche Probleme im Vorfeld gab oder ob gar das Umfeld der Gekidnappten an der Verschleppung beteiligt sein könnte.
Die Daten der NSA flossen laut “Bild”-Zeitung mehrfach in die Arbeit deutscher Krisenstäbe ein, um entführte Deutsche zu befreien. US-Regierungs- und Geheimdienstkreise betonen laut der Zeitung ebenfalls, dass der BND seit Jahren von der nahezu totalen Datenerfassung weiß, in Gefahrenlagen darauf zugreifen konnte – und dies auch aktiv tat.
Auch in Zukunft sollen die Daten fließen
Die Bundesregierung reagierte ausweichend auf diese Enthüllungen. Ein Regierungssprecher sagte lediglich, es sei “bekannt, dass es zwischen den deutschen Nachrichtendiensten und US-Diensten eine langjährige Kooperation gibt”.
Tatsächlich aber bangen die Dienste derzeit um diese Kooperation. So bat Innenminister Hans-Peter Friedrich bei seiner US-Reise hinter verschlossenen Türen eindringlich, dass die USA trotz der Affäre auch in Zukunft NSA-Informationen weitergeben. Dies verlautete aus seinem Ministerium. Aus Friedrichs Sicht sind die US-Daten – ganz gleich wo sie herkommen – für die Gefahrenabwehr in Deutschland extrem wichtig. Öffentlich erwähnt hat er seine Bitte an die USA jedoch in keinem der vielen Statements während und nach der Reise.
15. Juli 2013, 11:16 Uhr
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