Der US-Geheimdienst NSA überwacht den weltweiten Internetverkehr. Dafür zapfen die Schnüffler auch Glasfaserkabel an, die am Meeresboden zwischen den Kontinenten verlaufen. Eine Schlüsselrolle soll dabei das U-Boot “Jimmy Carter” spielen.
Berlin – Jimmy Carter inszeniert sich gern als Freiheitskämpfer. Mit seinem Carter Center für Menschenrechte vermittelt der ehemalige US-Präsident in internationalen Konflikten, beobachtet Wahlen und setzt sich für transparente Regierungsführung in Entwicklungsländern ein. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet: Unter anderem erhielt er 1998 den Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen und 2002 den Friedensnobelpreis.
2005 wurde ihm eine besondere Ehre zuteil: Die US-Marine benannte ein U-Boot nach Carter. Es ist das erste amerikanische Militär-U-Boot, das nach einem lebenden Ex-Präsidenten benannt wurde – und es ist nicht irgendeines. Die 138 Meter lange “Jimmy Carter” ist für Spezialoperationen ausgerüstet und nach Einschätzung von Geheimdienstexperten in der Lage, Unterwasserkabel anzuzapfen. Ein Boot also, das ausgerechnet von Carter hochgehaltene bürgerliche Freiheiten wie das Post- und Fernmeldegeheimnis zu verletzen sucht.
Bau und Ausrüstung des knapp 2,5 Milliarden Euro teuren U-Boots unterlagen strengster Geheimhaltung. “Sie werden niemanden finden, der mit Ihnen darüber spricht”, sagte Marinesprecher Kevin Sykes, als die “Jimmy Carter” Anfang 2005 in Dienst gestellt wurde.
Nur wenige Monate zuvor, im August 2004, hatte das US-Militär die USS “Parche” eingemottet. Dieses U-Boot hatte während des Kalten Kriegs Unterseekabel angezapft und galt als eine der wichtigsten Waffen im Spionagekrieg. Die Besatzung des Boots ist bis heute die höchstdekorierte Einheit der Marine. Das Militär nimmt ein solches Schiff nur dauerhaft außer Betrieb, wenn ein Nachfolger bereitsteht.
Das am stärksten bewaffnete U-Boot
140 Mann Besatzung leisten auf der USS “Jimmy Carter” Dienst. Sie verfügt über eine sogenannte Multi-Missions-Plattform, die wie ein Unterwasser-Hangar funktioniert. Von dort aus können Mini-U-Boote und Kampftaucher ins Wasser gelassen werden. 50 Spezialkräfte, etwa Navy Seals, kann das Atom-U-Boot aufnehmen. Für feindliches Sonar ist es kaum zu orten, weil seine Motoren extrem leise sind und der Bootskörper kaum elektromagnetische Strahlung abgibt.
Das Schiff ist mit Torpedos sowie Flugkörpern der Typen “Harpoon” und “Tomahawk” ausgerüstet, die feindliche Ziele sowohl zu Wasser als auch an Land ausschalten können – auch mit Nuklearsprengköpfen. Außerdem ist die Besatzung in der Lage, Seeminen zu legen. Damit sei die “Jimmy Carter” das am stärksten bewaffnete U-Boot, das jemals gebaut wurde, jubelte “Undersea Warfare”, das offizielle Magazin der amerikanischen U-Boot-Flotte.
Seit die “Jimmy Carter” vom Stapel lief, haben US-Medien mehrfach darüber spekuliert, dass das Schiff Glasfaserkabel zwischen den Kontinenten anzapfen könnte. Das Pentagon hat diesen Berichten nie widersprochen. Im vom Whistleblower Edward Snowden enthüllten Prism-Spähprogramm bestätigt der US-Militärgeheimdienst NSA sogar die “Sammlung der Kommunikation über Glasfaserkabel, während die Daten hindurchfließen”. Die Marine teilt lediglich mit, dass das U-Boot mit “fortschrittlicher Technologie für spezielle Marinekriegsführung und taktische Überwachung” ausgestattet sei.
Unklar ist bislang jedoch, wie die so abgefangenen Daten dann zu den Analysten des US-Militärgeheimdienstes gelangen. In den siebziger Jahren mussten regelmäßig U-Boote zu den Kabeln herabtauchen, um die Bänder einzusammeln. Diese Mission wurde schließlich von einem sowjetischen Spion verraten – das Aufnahmegerät befindet sich seither im Moskauer KGB-Museum. Sollten auch heutzutage die Kommunikationsdaten aus den Unterseekabeln nur zeitversetzt bei den Geheimdienstlern ankommen, wären akute Warnungen vor Terrorwarnungen kaum möglich.
Wahrscheinlicher ist daher, dass die Besatzung der “Jimmy Carter” an den Glasfaserkabeln einen Splitter installiert und eine eigene Faserleitung in ein Rechenzentrum des Geheimdienstes gelegt hat. Peter Franck, Sprecher des Chaos Computer Clubs, hält es außerdem für möglich, dass IT-Experten an Bord des U-Boots die Daten bereits vor Ort vorfiltern und verdichten und über die normale Funkkommunikation zur Basisstation zurückfunken könnten.
In beiden Fällen würden die NSA-Agenten praktisch in Echtzeit den Internetverkehr überwachen können.
01. Juli 2013, 18:02 Uhr
Von Christoph Sydow
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