Im Luxemburger Bombenleger-Prozess wurde am Dienstag der bislang wohl spektakulärste Zeuge Andreas Kramer vernommen. Der Duisburger Historiker hatte vor einigen Wochen u.a. den deutschen Bundesnachrichtendienst in einer eidesstattlichen Versicherung belastet, in den 1980er Jahren in inszenierte Terroranschläge verwickelt gewesen zu sein. Kramers Vater, Johannes Karl Kramer, sei beim BND ein Strippenzieher gewesen, der mit dem damaligen Leiter des Luxemburger Geheimdienstes SREL Bombenanschläge geplant habe, um die Bevölkerung auf einen Rechtsruck einzuschwören.
Die Aussagen, die Kramer im Luxemburger Gerichtssaal machte, sind sensationell – vielleicht sogar zu sensationell. An einigen Punkten widersprach sich der Historiker, der immerhin unter Eid aussagte. Während von Zeugen die möglichst interpretationsfreie Schilderungen von Tatsachenwahrnehmung erwartet wird, kommentierte Kramer eifrig und verkündete laut Protokoll des LUXEMBURGER WORT, in Deutschland habe es keine Möglichkeit gegeben, Informationen an die Presse und Justiz weiterzugeben, da die Aufarbeitung des Stay-Behind in Deutschland systematisch unterdrückt werde. Der Zeuge Kramer gibt an, in den 1990er Jahren Chefarchivar im Bundestag gewesen und als solcher auch mit Geheimdienstangelegenheiten befasst gewesen zu sein. Für einen Akademiker in ehemaliger Führungsposition, der gerade den Medienauftritt seines Lebens absolviert, war Kramer erstaunlich leger gekleidet. Auch das offenbar fahrige Auftreten und der Mitteilungsdrang des Zeugen fördern nicht gerade seine Glaubwürdigkeit, sondern wecken Assoziationen zu verschrobenen Verschwörungstheoretikern, wie sie etwa im Spielfilm Fletchers Visionen dargestellt werden.
Was von Kramers Aussagen zu halten ist, was wirklich aus seiner Beobachtung stammt, oder was er aus Büchern übernommen hat oder selbst schlussfolgert, ist schwierig zu beurteilen. Anderseits gibt es viele Sachverhalte, die lange als Verschwörungstheorien galten und lächerlich gemacht wurden, sich dann jedoch als zutreffend herausstellten. Bei Whistleblowern, die etwa eingeschüchtert wurden, kommt es häufiger vor, dass diese “ein bisschen durch den Wind” sind, zumal es vorliegend um eine tragische Vater-Sohn-Beziehung geht. Sollten nur einige der von Kramer gelieferten Puzzle-Stücke echt sein, dann hätte es sich schon gelohnt, sich mit Kramers spektakulärer, aber mit Vorsicht zu genießender Aussage zu befassen.
Kramer sagte laut Protokoll des LUXEMBURGER WORT aus, sein letztes Jahr verstorbener Vater Johannes Karl Kramer sei Verantwortlicher des Stay-Behind-Netzwerkes in Deutschland gewesen. Dieser habe keine Freunde gehabt, so dass er sich praktisch nur seinem Sohn habe anvertrauen können, den er für Stay Behind (“GLADIO”) habe rekrutieren wollen. Unter dem Deckname “Cello” habe der Schattenmann bis zu seinem 70. Lebensjahr in der “Abteilung 4” des BND gearbeitet und sei mit der Koordination von NATO-Geheimdiensten befasst gewesen. U.a. an der Bombenserie in Luxemburg sei er unmittelbar beteiligt gewesen und hätte diese mit dem damaligen Chef des Luxemburger Geheimdienstes, Charles Hoffmann, gemeinsam geplant. Kramer senior habe mit Hoffmann einem „Allied Clandestine Committee“ angehört, das Bundeswehr-General Leopold Chalupa unterstanden habe. Kramer hätte jedoch hinter dem Rücken von General Chalupa eigenmächtig gehandelt.
Kramer will mit seinen Enthüllungen den Tod seines Vaters abgewartet haben, weil dieser ihm selbst mit dem Tod gedroht habe, falls er auspacken werde. Diese Drohung habe er ernst genommen, da Johannes Karl Kramer nicht nur zu Morden fähig gewesen sei, sondern solche geradezu manisch begangen hätte und daher Strafverfolgung hätte befürchten müssen. So sei der BND-Mann in das Münchner Oktoberfest-Attentat verwickelt gewesen, bei dem vieles auf GLADIO deutet. Die konkret Beteiligten habe Johannes Karl Kramer als “nützliche Idioten” bezeichnet.
Luxemburg sei als Operationsort gewählt worden, weil das Großherzogtum damals noch nicht das Haager Abkommen zur Landkriegsordnung unterzeichnet hätte, die Sprengfallen verbiete. Hoffmann sei mit Kramer senior keineswegs befreundet gewesen, habe sich sogar eigens an die CIA gewandt, weil er keine weiteren Anschläge in Luxemburg dulden wollte. Das FBI (das für die Ermittlungen gegen Doppelagenten usw. zuständig ist) sei Kramer senior auf den Fersen gewesen, habe von ihm jedoch wegen Unkenntnis der Benelux-Länder an der Nase herumgeführt werden können. Kramer gab an, sein Vater habe einige der Erpresserbriefe selbst geschrieben. Dieser habe vermutet, das FBI hätte ihn überführen können, hätten sie damals die DNA-Analyse zur Verfügung gehabt. Kramer selbst gab im Gerichtssaal eine Probe seiner eigenen DNA.
Johannes Karl Kramer, der selbst Sprengmeister gewesen sei, habe seinem Sohn zufolge auch seine Finger beim Anschlag auf das EG-Gipfeltreffen auf dem Luxemburger Kirchberg gehabt. Er habe damit geprahlt, die Sicherheitsvorkehrungen überwunden zu haben. Die Bombe sei von einem Motorrad geworfen worden. Der Schattenmann soll von einer Brigade aus Luxemburg berichtet haben, die Motorräder eingesetzt habe. Der einzige Namen, den Kramer insoweit nannte, war der von Ben Geiben, jenem Super-Flic, der die Einheit gegründet hatte und danach Sicherheitschef von Euro-Disney wurde.
Dass Hoffmann mit Stay Behind befasst war, lässt sich nunmehr kaum abstreiten. So veröffentliche Strafverteidiger Gaston Vogel einen Brief Hoffmans, in dem dieser von einer “Stay Behind-Übung” spricht. Dieser trägt den handschriftlichen Vermerk “d’accord” (“Einverstanden”) von keinem Geringeren als Ehrenstaatsminister Jacques Santer vor. Der allerdings hatte Vogel zufolge immer wieder behauptet, von Übungen mit belgischen, französischen und britischen Geheimdiensten nichts gewusst zu haben. Au contraire …
UPDATE: Anders, als in der ursprünglichen Fassung angegeben, scheint der Zeuge Kramer nicht promoviert zu haben.
Markus Kompa
09.04.2013
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