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  • Deutschland Spionage: Die Verschwörung gegen Brandt

    Nachdem 1969 erstmals ein SPD-Politiker Bundeskanzler wurde, bauten CDU- und CSU-Anhänger einen eigenen Nachrichtendienst auf. Ein unglaublicher Spionagefall

    Dies ist die erstaunliche Geschichte einer Verschwörung. Sie begann im Herbst 1969 und endete Mitte der achtziger Jahre, sie spielt nicht irgendwo, sondern im Herzen der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland, tief verankert in den konservativen Parteien CDU und CSU. Es geht dabei um nicht weniger als um die Gründung eines eigenen Nachrichtendienstes, abseits der Öffentlichkeit und jeder parlamentarischen Kontrolle. Verschiedene Geheimdienstfiguren spielen eine Rolle und ein internationales Netz schillernder Agenten, alles in enger Abstimmung mit christsozialen Hardlinern. Franz Josef Strauß hat den Dienst unterstützt, Helmut Kohl hat von ihm gewusst. Finanziert wurden die schwarzen Spione im Verborgenen, aus unübersichtlichen Kanälen. Nach den Unterlagen, die dem ZEITmagazin vorliegen, kostete dieser Nachrichtendienst mehrere Millionen Mark.

    Im Jahr 2012 wird anlässlich der dramatischen Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem Zwickauer Mördertrio heftig über den Sinn der Geheimdienste diskutiert und auch über die Frage, wie schnell ein unkontrollierter Dienst zum Problem an sich werden kann. Die Geschichte, die hier erzählt wird, macht deutlich, wie Spitzenpolitiker an allen staatlichen Organen vorbei solch einen unkontrollierbaren Dienst schufen, nur um ihr eigenes trübes politisches Süppchen zu kochen.

    Alles fängt damit an, dass im Herbst 1969 die Konservativen erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik die Regierungsmacht verlieren. CDU und CSU gewinnen zwar die meisten Stimmen bei der Bundestagswahl, die FDP entscheidet sich jedoch für ein Bündnis mit den Sozialdemokraten. Nun kann Willy Brandt sein außenpolitisches Konzept »Wandel durch Annäherung« in die Tat umsetzen. Er schickt seinen Staatssekretär Egon Bahr im Januar 1970 als Unterhändler nach Moskau. Dort soll er mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko sondieren, ob die Regierung im Kreml bereit ist, sich per Vertrag zu einem Gewaltverzicht zu verpflichten. Dafür wird die Bundesregierung dem Verhandlungspartner entgegenkommen müssen. Mitglieder der Vertriebenenverbände warnen, ihre Heimat im Osten dürfe nicht im Gegenzug preisgegeben werden. Brandt weiß, dass sich die Sowjetunion nur auf einen Vertrag einlassen wird, wenn er als deutscher Kanzler die Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell akzeptiert. Ebenso heikel: Brandt kann und will die DDR nicht völkerrechtlich anerkennen, die Regierung in Ost-Berlin will allein unter dieser Voraussetzung verhandeln.
    DIE AUTORIN

    Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Waske las für ihre Dissertation Briefe von CDU-Abgeordneten, in einigen war von einem »kleinen Dienst« die Rede. Sieben Jahre dauerte die Recherche, deren Ergebnisse sie hier erstmals veröffentlicht. Sie studierte Tausende von Dokumenten, einige wurden erst nach jahrelangen Prüfungen freigegeben. Anfang 2013 erscheint ihr Buch »Nach Lektüre vernichten! Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg« bei Hanser

    Brandt wird sich nicht nur außenpolitisch geschickt verhalten müssen. Seine Koalition verfügt im Bundestag lediglich über eine Mehrheit von wenigen Stimmen. Geht der Kanzler zu weit, riskiert er das Ende seiner Regierung. Auch in der SPD- und in der FDP-Fraktion gibt es Abgeordnete, die sich in den Vertriebenenverbänden engagieren oder aus anderen Gründen skeptisch sind. Bereits im Oktober 1970 wechseln drei FDP-Parlamentarier zur CDU/CSU-Fraktion. Sie werden nicht die letzten bleiben. Ebenso könnte ein falscher Verhandlungsschritt die internationalen Partner der Bundesregierung – allen voran die USA – verärgern.

    Bahr ist sich damals bewusst, dass ihn die Nachrichtendienste beobachten – ohne jedoch an einen eigenen Dienst der Opposition im Bundestag zu denken, wie er heute sagt. Henry Kissinger, dem damaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, habe er als Erstem das Gesamtkonzept bei einem Besuch in völliger Offenheit dargelegt. »Natürlich war er misstrauisch. Wenn Kissinger Nein gesagt hätte, dann hätten wir es nicht gemacht. Es wäre sonst ein Abenteuer geworden.«

    Was Bahr nicht wusste: Henry Kissinger empfängt in seinem Büro in Washington im März 1970 einen guten Bekannten. Der Besucher will sich über die neue Ostpolitik Willy Brandts unterhalten. Das verwundert Kissinger sicher nicht, kaum ein Thema ist in diesen Tagen wichtiger. Der deutsche Kanzler will die Regierung in Moskau zu einem Entspannungskurs bewegen. Kissinger ahnt nicht, dass sein Gast nur eines im Sinn hat: ihm vertrauliche Informationen zu entlocken, um sie Brandts Gegnern in der Bundesrepublik zu schicken. Auf seine Botschaft wartet bereits ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser baut für die CDU und CSU einen Nachrichtendienst auf. Wer dieser Zuträger war, kann heute nicht zweifelsfrei geklärt werden. Henry Kissinger lässt sämtliche Fragen des ZEITmagazins zu diesem Komplex unbeantwortet.

    Es ist die tiefe Furcht vor der neuen Politik Willy Brandts, die deutsche Konservative zum Handeln treibt. Einer von ihnen ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg, der Großvater des gleichnamigen ehemaligen Bundesverteidigungsministers im Kabinett Angela Merkels. Der damals 48-Jährige mit hoher Stirn, nach hinten gekämmten glatten Haaren und Walross-Schnauzer gilt als brillanter Redner und intellektueller Kopf der Konservativen. Die Meinungen über ihn sind gespalten. Manche bewundern und verehren ihn als Gentleman, andere sehen in ihm einen reaktionären Adeligen. Seit einiger Zeit weiß der Hoffnungsträger der CSU, dass er an der tödlichen Muskelkrankheit ALS leidet. Als außenpolitischer Experte seiner Partei kennt er die Pläne der sozialliberalen Regierung genau. Bald wird er Brandt im Bundestag vorwerfen: »Sie, Herr Bundeskanzler, sind dabei, das Deutschlandkonzept des Westens aufzugeben und in jenes der Sowjetunion einzutreten.« Für ihn steht die Freiheit auf dem Spiel.

    Guttenberg trifft sich im Herbst 1969 mit dem ehemaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger, dem früheren Kanzleramtschef Konrad Adenauers, Hans Globke, und dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Später wird in einer Aufzeichnung festgehalten: »Auf Grund der Lage nach den Wahlen zum Bundestag beschlossen Dr. H. Globke in Verbindung mit Dr. K. G. Kiesinger und Frhr. von und zu Guttenberg in Verbindung mit Dr. F. J. Strauß die Gründung eines Informationsdienstes für die Opposition.« Sie alle haben die Sorge, dass sie durch den Regierungswechsel von den Infokanälen der Geheimdienste abgeschnitten werden. Und sie wissen, dass ihre Parteien in Diplomatenkreisen noch Rückhalt haben. Deren Beobachtungen der neuen Ostpolitik könnten über abgeschirmte Kanäle zur Opposition transportiert werden, so der kühne Plan. Vier Wochen später wird die Idee noch abenteuerlicher. Guttenberg bekommt einen Brief von einem Meister der Konspiration: Wolfgang Langkau, pensionierter Vertrauter des ehemaligen BND-Präsidenten Reinhard Gehlen und langjähriger CDU-Kontaktmann. Er schreibt: »Zu diesem Ziele bietet sich die Möglichkeit an, ein seit Jahren durch eine besondere Stelle im BND geführtes Informationsbeschaffungsnetz einzusetzen, das laufende Verbindungen insbesondere zu USA, Frankreich, Österreich, Italien, Vatikan, arabische Länder, Jugoslawien, Rumänien, ČSSR, UNO unterhält.« Er ist überzeugt, dass seine ehemaligen Zubringer mit an Bord wären, würden sich die Konservativen zu einem eigenen Dienst durchringen können. Zumal in einer Situation, in der sie gemeinsam einen »Beitrag für unser europäisches Überleben« leisten könnten, notiert Langkau.

    Von Langkau sind nur wenige Bilder bekannt. Sie zeigen einen kleinen, hageren Mann mit schütterem grauem Haar, ausgeprägten Geheimratsecken und riesigem dunklem Brillengestell. Seine Bekannten beschreiben ihn als beherrscht und analytisch denkend. Der BND-Präsident Gehlen schenkte dem zurückhaltenden Mann wie kaum jemandem in seinem Dienst Vertrauen. Daher gab er ihm Sonderaufträge, beispielsweise den Kontakt zum israelischen Geheimdienst Mossad aufzubauen. Langkau leitete bis 1968 den Strategischen Dienst des BND. Die Abteilung sollte die sowjetische Westpolitik und die amerikanische Sicherheitspolitik beobachten.

    Das Wichtigste für ein Nachrichtennetz sind Informanten – auch hier kann Langkau viel vorweisen. Er besaß den Spitznamen Doktor der Operationen und liebte es, mit Agenten zu arbeiten. Andere Geheimdienstler bevorzugen Technik, wie Radaranlagen oder Telefonüberwachung. Langkau kümmerte sich um einige seiner Zubringer sogar persönlich. Im Geheimdienstjargon heißen sie Sonderverbindungen, es sind hochrangige Politiker, Wirtschaftslenker und Militärs. Sie verfügen über besonders gute Zugänge zu höchsten Kreisen der Gesellschaft und Politik. Erst mit der Zeit wird der Kontakt enger, das heißt, der Geheimdienst führt sie, erteilt ihnen Aufträge. An diese Sonderverbindungen denkt Langkau, als er der Opposition sein Angebot unterbreitet.

    Per Brief offeriert er, diese ehemaligen BND-Verbindungen für CDU und CSU erneut in Aktion zu versetzen. Sie wollten zudem nicht für die SPD/FDP-Regierung arbeiten. Er schlägt vor, eine Kernbasis eines »echten geheimen Nachrichtendienstes im Sinne eines – zunächst winzigen – National-Security-Stabes für eine künftige CDU/CSU-Regierung« zu schaffen. Ein anspruchsvoller Plan, soll der kleine Dienst doch die gesamte Spannbreite außenpolitischer Nachrichten sammeln und auswerten.

    Billig ist sein Vorschlag nicht: Die Planung sieht eine Mindestfinanzierung von 750000 Mark pro Jahr vor, dazu als Option eine weitere Million Mark. Der Kreis um Guttenberg war den Dokumenten zufolge, die dem ZEITmagazin vorliegen, vom Plan des ehemaligen Spitzenbeamten des BND trotz der hohen Kosten und Risiken überzeugt.

    Die erste drängende Frage: Woher sollen CDU und CSU das Personal nehmen? Ohne Hauptamtliche kann es aus Sicht der Politiker keinen Informationsdienst geben. Sie beschließen, ihnen nahestehende BND-Mitarbeiter abzuwerben. Als Ersten nehmen sie Hans Langemann in den Blick, damals für den BND in Rom. Er leitet die dortige Residentur, das sind die »Botschaften« des Dienstes im Ausland. Doch die CDU- und CSU-Bundespolitiker kommen zu spät: Der bayerische Kultusminister Ludwig Huber bemüht sich bereits um Langemann und will ihn als auslandsnachrichtendienstlichen Berater der Olympischen Spiele 1972 gewinnen.

    Die andere Option: Hans Christoph von Stauffenberg, ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter Langkaus. Er arbeitet in einer verdeckten Münchner BND-Außenstelle. Von seinem kleinen Büro geben die Mitarbeiter Hinweise an die Zentrale in Pullach, welche Informationen die Agenten beschaffen sollen. Im Jargon des Dienstes heißt das Steuerungshinweis – die Hauptaufgabe des damals 58-Jährigen. Er wertet Meldungen und Nachrichten aus, führt somit keine Agenten. Auf Fotos wirkt der Baron eher wie ein Künstler, Schauspieler oder Intellektueller: schmal, mittelgroß, stets korrekt und geschmackvoll gekleidet mit Jackett und Krawatte.

    Stauffenberg – bei diesem Namen denkt wohl jeder zuerst an Claus von Stauffenberg, den Offizier der deutschen Wehrmacht, der am 20. Juli 1944 Hitler töten wollte. Anders als der spätere Attentäter machte Hans Christoph von Stauffenberg keine militärische Karriere, eine Krankheit verhinderte den Fronteinsatz. Stattdessen befragte er Kriegsgefangene in einem Lager bei Oberursel. Als Student war er 1933 in die NSDAP eingetreten, hielt sich jedoch bald von der Partei fern. Am Tag des Attentats auf Hitler saß Stauffenberg mit seiner Frau Camilla in der Oper in Bad Homburg und sah sich die Hochzeit des Figaro an. Die Gestapo nahm das Ehepaar, wie fast alle Stauffenbergs, wenige Tage danach in Sippenhaft.

    In Hans Christoph von Stauffenberg finden die Eingeweihten aus CDU und CSU einen Leiter für ihren Dienst. Es taucht nur das Problem auf, dass der nach 12 Jahren im BND nicht seine Ansprüche aus dem öffentlichen Dienst verlieren soll. Außerdem sieht der Plan vor, noch eine Übersetzerin und seine Sekretärin zu übernehmen. Es entsteht die Idee, sie gemeinsam in der bayerischen Staatskanzlei unterzubringen.

    Damit das gelingt, muss Guttenberg für seinen Freund und Verwandten Stauffenberg bei seinen Kollegen im bayerischen Kabinett werben. Inzwischen bemüht sich Stauffenberg um die Unterstützung seines langjährigen Freundes Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein. 1969 ist dieser noch nicht Schatzmeister der hessischen CDU, was ihn Jahrzehnte später zu einer der Schlüsselfiguren der CDU-Parteispendenaffäre werden ließ. Sayn-Wittgenstein war es, der rund 20 Millionen Mark auf ein CDU-Konto in der Schweiz gebracht hatte und deren Herkunft als »jüdische Vermächtnisse« zu deklarieren versuchte. Er wurde wegen Untreue angeklagt, das Verfahren wurde allerdings wegen seines schlechten Gesundheitszustandes 2005 eingestellt.

    Die Freunde Sayn-Wittgenstein und Stauffenberg verbindet ein dramatisches Ereignis zur Zeit des Nationalsozialismus. Sayn-Wittgensteins Mutter hatte in zweiter Ehe den jüdischen Unternehmer Richard Merton geheiratet. Dem Paar war in letzter Minute die Ausreise ins britische Exil geglückt, Casimir und sein Bruder August Richard zu Sayn-Wittgenstein blieben und versuchten 1939, mit der Gestapo über das beschlagnahmte Familienvermögen zu verhandeln. Das kostete August Richard das Leben. Casimir fand ihn sterbend in einem Berliner Hotel. Stauffenberg kam noch mit einem Arzt dorthin, doch es war zu spät. Offizielle Todesursache: Selbstmord.

    1969 zieht es Sayn-Wittgenstein in die Politik, auch bei ihm dient als Begründung die Ablehnung der neuen Ostpolitik. Er hat sich bisher auf seine Karriere im Familienunternehmen, der Frankfurter Metallgesellschaft AG, konzentriert. Seine Wirtschaftskontakte, so Stauffenbergs Hoffnung, könnten dem Dienst sehr helfen. Bald wird sich Sayn-Wittgenstein als Spendensammler bewähren müssen. Eine Aufzeichnung Guttenbergs, wahrscheinlich aus dem Jahr 1970, offenbart, dass fast die Hälfte der Kosten für den Nachrichtendienst durch Spenden hereinkommen soll: Darin heißt es, die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens habe 100000 Mark zugesagt. Die CDU wolle prüfen, ob sie ebenfalls 100000 Mark zahlen könne. 50000 Mark stelle die CSU in Aussicht. Von der süddeutschen Industrie erhoffe man sich 100000 Mark.

    Stauffenbergs pensionierter Chef Langkau beginnt bereits im Frühjahr 1970 mit einer kleinen privaten Gruppe in München. Er nimmt Kontakt zu seinen ehemaligen Quellen auf, bittet sie um ihre Mitarbeit. Eine von ihnen führt das oben erwähnte Gespräch mit Kissinger im März 1970 in Washington. Langkau erreicht danach die Meldung, der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten habe erwähnt, Bahr lasse dem Weißen Haus auf Umwegen Berichte über seine Gespräche in Moskau zukommen. Kissinger vermute jedoch, so der Informant, dass der Unterhändler der Bonner Regierung nicht alles sage, was sich zwischen ihm und den Sowjets abspiele.

    Kissinger und Bahr hatten im Oktober 1969 verabredet, einen back channel einzurichten, einen direkten Kontakt an der Bürokratie vorbei – der sollte jedoch absolut geheim bleiben und Vertrauen herstellen. Auf US-Seite sollte nur noch Kissingers Mitarbeiter Helmut Sonnenfeldt etwas wissen, auf deutscher Willy Brandt und Kanzleramtschef Horst Ehmke. Wer die Kissinger-Meldung des Informanten noch erhielt, ist nicht überliefert. Sie trägt die Nummer 58, kommt am 10. März 1970 aus Washington und umfasst drei knappe, mit Schreibmaschine verfasste Absätze. Bahr, nach dem Dokument befragt, bemerkt: »Es erinnert an eine typische BND-Meldung aus Presseberichten und Vermutungen.«

    Der Stoff hat das Zeug zum Spionageroman. Und die Konstruktion dieses Nachrichtendienstes an jeder parlamentarischen Kontrolle vorbei trägt einen politischen Skandal in sich. Was wissen CDU und CSU heute darüber? Wie beurteilen sie die Schaffung dieses Dienstes? Wie wurden die Gelder verbucht? Was für eine Rolle spielte Prinz zu Sayn-Wittgenstein, immerhin der Mann, der mitverantwortlich war für einen der größten Politikskandale der Bundesrepublik? All das haben wir die Unionsparteien gefragt. Für die Antworten ließen sich beide Parteizentralen eine Woche Zeit. Dann hieß es, der Sachverhalt sei unbekannt. Kein Kommentar.

    Im Sommer 1970 übernimmt Hans Christoph von Stauffenberg die Führung der nachrichtendienstlichen Gruppe. Er hat die Zusage, mit seiner Sekretärin in die bayerische Staatskanzlei zu wechseln. In seinem Kündigungsschreiben an den BND führt Stauffenberg aus, er wolle sich nicht »zum Handlanger einer Politik machen«, die er »für das Volk für abträglich, zumindest für sehr gefährlich« halte. Seinen neuen Arbeitsplatz nennt Stauffenberg »Zuflucht«. Mit dem 1. August 1970 muss sich der ehemalige Geheimdienstler offiziell in einen Redenschreiber für Grußworte verwandeln, alles nur, damit er seine Mission des Informationsdienstes in die Tat umsetzen kann. Seinen neuen Kollegen erzählt Stauffenberg die Legende, er komme von der Bundesvermögensverwaltung. Das Synonym für Bundesnachrichtendienst kennt längst jeder. So geht bei seiner Ankunft, wie er selbst schreibt, »ein Raunen durchs Haus«. Doch Stauffenberg verschwindet schnell aus ihrem Blickfeld. Sein Dienstherr hat ihn in einem abgelegenen Nebenhaus untergebracht. Arbeit ist Mangelware. Und wenn einmal etwas anfällt, bleiben für den Neuling die Randthemen übrig, wie die Rede zum 150. Geburtstag von Pfarrer Sebastian Kneipp oder ein Grußtelegramm für das Raumausstatter-Handwerk.

    Die eigentliche Arbeit beginnt nach Dienstschluss. Mit seinem ehemaligen Chef und neuen Partner Langkau stattet er eine seiner Münchner Wohnungen zu einem »bescheidenen Büro« für den Dienst um. Die Möbel stammen aus der CSU-Landesleitung. Die Lage ist – anders als die Ausstattung – exklusiv, die Ottostraße verläuft parallel zum Maximiliansplatz. Guttenberg gratuliert Stauffenberg aus der Kur in Bad Neustadt: »Ich freue mich, daß im Übrigen nun doch endlich gelungen scheint, was wir monatelang betrieben haben, und daß Du nun anscheinend vernünftig arbeiten kannst.«

    Langkau und Stauffenberg beginnen sofort mit der Arbeit. Egon Bahr hat in Moskau bereits mit dem Außenminister Andrej Gromyko eine gemeinsame Linie gefunden. Am 12. August 1970 werden Brandt und Außenminister Walter Scheel sowie Gromyko und der sowjetische Ministerpräsident Alexej Kossygin feierlich den Moskauer Vertrag unterzeichnen.

    Die Meldungen der Informanten gehen aus Brüssel, Paris und Washington ein, fast nie aus dem Inland. Mithilfe dieser Texte verfassen die ehemaligen BND-Mitarbeiter Berichte, nicht nur zur neuen Ostpolitik, sondern auch über die innenpolitische Entwicklung Chinas oder Spannungen im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Klassische Agentenberichte sind es nicht, hier wird niemand beschattet, telefonisch abgehört oder verdeckt fotografiert. Wobei einige Informanten ihre vertraulich-privaten Unterredungen mit ihren Gesprächspartnern offensichtlich mitschneiden. Im Laufe der Jahre wird Stauffenberg laut den Berichten über einige gut platzierte Quellen verfügen. Selbst mit dem Staatspräsidenten Rumäniens, Nicolae Ceauşescu, und dem Jugoslawiens, Josip Broz Tito, kommen die Vertrauensmänner ins Gespräch. Bei Ceauşescu ist es die Quelle »Petrus«, bei Tito ist es »ein progressiver Politiker eines blockfreien Landes«.

    Welche Identitäten hinter den Zuträgern stecken, lässt sich nur teilweise belegen. In den heute vorliegenden Listen und Berichten tauchen sie mit ihren Decknamen auf. Langkau und Stauffenberg waren geschulte Geheimdienst-Mitarbeiter. Sie hätten niemals die wahren Namen ihrer Vertrauensmänner aufgelistet und die Zahlungsbelege angeheftet. Bekannt sind die Einsatzgebiete der Informanten: »Dut« kümmert sich um die USA, Frankreich und Italien, »Grete« um Straßburg und »Petrus« um Osteuropa und den Nahen Osten. Die drei Informanten »Chris«, »Norbert« und »Hervier« berichten aus den USA. Österreich nimmt sich »Hiking« vor. In Fernost arbeitet »Xaver«. »Urbino« und »Kolb« decken die Kirchen ab. Im Laufe der Jahre kommen neue Zuträger hinzu. Sie berichten aus den USA ebenso wie aus Kuba oder Taiwan.

    Wann immer die Berichte darauf hindeuten, wer die Information geliefert haben könnte, gehen sie nur an den engsten Verteiler. Stets schreibt der Bearbeiter, meist wohl Stauffenberg, dann hinzu: »Wegen Quellengefährdung wird um besonders vertrauliche Behandlung gebeten.« Die Empfänger sollen trotzdem ahnen, wie außerordentlich das Ganze ist: Aus den Hauptstädten der Welt berichtet daher mal »ein Vertrauensmann von Henry Kissinger«, ein »hoher rumänischer Parteifunktionär« oder »ein sehr gut unterrichteter UN-Diplomat«.

    Zu Beginn erreichen die besonders exklusiven Berichte die CDU über den Fraktionsmitarbeiter Hans Neusel, der im Jahr 1979 Staatssekretär und Chef des Bundespräsidialamtes wird. Das bestätigt dieser auf Anfrage.

    Friedrich Voß, Büroleiter von Franz Josef Strauß, erhält die Ausfertigungen für seinen Chef. So sind die Parteispitzen informiert. Später werden die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Karl Carstens und Helmut Kohl unterrichtet.

    Der Nachrichtendienst ist teuer. Allein im ersten Jahr entstehen für die Quellen Kosten von 160.000 Mark. Eine wichtige Rolle bei der Finanzierung spielt der Verein, den Stauffenberg und seine Unterstützer im Januar 1971 ins Leben rufen: der Arbeitskreis für das Studium internationaler Fragen in München. Der Verein überweist Geld an Stauffenberg. Vorsitzender wird der Herausgeber des Rheinischen Merkurs, Otto B. Roegele, Stellvertreter wird der ehemalige Minister für die Fragen des Bundesverteidigungsrates, Heinrich Krone. Das Amt des Schatzmeisters übernimmt der Rechtsanwalt und CSU-Landtagsabgeordnete Alfred Seidl, eine höchst schillernde Figur. Seidl, ein überzeugtes NSDAP-Mitglied, verteidigte in den Nürnberger Prozessen Rudolf Heß und Hans Frank und bemühte sich lebenslang um die Freilassung von Heß. Nach dem Tod Seidls wurde bekannt, dass ihn eine enge politische Freundschaft mit dem DVU-Chef Gerhard Frey verband. Die Akten des Arbeitskreises, die Aufschluss über die Arbeit des Vereins liefern könnten, befinden sich im Nachlass von Exminister Krone. Sie sind vom Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte gesperrt.

    Fest steht: Bis Mitte der siebziger Jahre braucht Stauffenberg die finanzielle Unterstützung von CDU und CSU. Dem ZEITmagazin liegen Ausarbeitungen vor, wonach die Christdemokraten in den ersten beiden Jahren je 100000 Mark beigesteuert haben. Dazu kommen Unternehmensspenden, die nicht weiter aufgeschlüsselt werden. Überliefert ist, dass Sayn-Wittgenstein den ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs umwarb, der bayerische Staatsminister Franz Heubl den Unternehmer Rolf Rodenstock. Guttenberg bemühte sich um den ehemaligen Flick-Generalbevollmächtigten und CSU-Abgeordneten Wolfgang Pohle.

    Ein wichtiger Helfer von Stauffenberg wird sein ehemaliger BND-Kollege Hans Langemann, der zuerst den Dienst leiten sollte. Er arbeitet seit November 1970 für die Olympischen Spiele in München und verfügt über Geld des Landes Bayern. Mit den Landesmitteln soll er geheime Zuträger finanzieren, die ihn auf Gefahren für die Sommerspiele hinweisen. Allein 1971 liegt sein Budget bei 91254 Mark, ein Jahr später sind es 108491 Mark. Ab März 1971 übernimmt Stauffenberg Langemanns Berichte mit einem Vorspann für seinen Dienst: Die Meldungen, heißt es, stammten aus einem »Bereich, dessen Koordinierung vorbereitet« werde.

    Im November 1970 wird Henry Kissinger erneut von einem Informanten Stauffenbergs aufgesucht. Mittlerweile ist der deutsch-sowjetische Vertrag unterschrieben, die Unterzeichnung des Warschauer Vertrags steht kurz bevor. Dieses Mal weiß Kissinger offensichtlich, dass sein Gast der Opposition zuarbeitet. Hier wird er nicht ausgehorcht, sondern er gibt der CDU und CSU vertrauliche Ratschläge, wie sie sich gegenüber Brandt verhalten sollen. Der Zuträger zitiert Kissinger mit den Worten: »Es mag möglich sein, die gegenwärtige Regierung zu stürzen, offen bleibt aber, ob hierfür nicht Risiken eingehandelt werden, die eine CDU/CSU-Regierung in größte Schwierigkeiten bringen kann.« Der Amerikaner weist laut Bericht darauf hin, dass die sowjetische Regierung die Zustimmung beider großen Parteien im Bundestag für die Ostverträge wünsche. Auf diese Weise würde auch bei einem Mehrheitswechsel das Abkommen nicht infrage gestellt. Soll also die Opposition Verantwortung für die Verträge übernehmen, wie es auch die SPD fordert? Kissinger favorisiert demnach eine andere Taktik: »Ich würde eher dafür plädieren, die Ratifizierung zu verzögern und in dieser Zeit die Resultate der recht unterschiedlichen sowjetischen Praktiken in der Weltpolitik genauer zu beobachten, der Bundesregierung die Verantwortung für die Ratifizierung selbst zu überlassen.«

    Kissinger rät jedoch der Quelle zufolge den Unionsparteien davon ab, ihre offene Konfrontation fortzusetzen. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt es nämlich ab, einen Beobachter zu den Verhandlungen des Warschauer Vertrags in die polnische Hauptstadt zu entsenden. Im Dezember 1970 weigert sich Fraktionschef Rainer Barzel, den Kanzler zur Vertragsunterzeichnung zu begleiten. So ist er nicht dabei, als Brandt am Ghetto-Ehrenmal einen Kranz niederlegt und auf die Knie fällt. Die Bilder dieser Geste erreichen die ganze Welt und werden zum Symbol der neuen Ostpolitik.

    Das kommende Jahr 1971 ist das der zähen Verhandlungen. Amerikaner, Franzosen, Briten und Sowjets beraten in endlosen Runden, wie sie das Leben in West-Berlin verbessern können. Die Alliierten haben die Hoheit über die geteilte Stadt. Die östliche Seite müsste garantieren, dass West-Berlin von der Bundesrepublik aus jederzeit ohne große Kontrolle erreichbar ist. Bisher ist die Anreise ein Abenteuer, das viele Stunden dauern kann. Am 3. September 1971 können die Botschafter der Alliierten endlich das Viermächteabkommen unterzeichnen.

    Zwei Wochen später reist Kanzler Brandt überraschend auf die ukrainische Halbinsel Krim. In einem Vorort Jaltas, Oreanda, trifft er Leonid Breschnew in dessen Ferienhaus. Das bringt Brandt in die Kritik: Zum einen wird ihm vorgeworfen, habe er mit seinem Abstecher auf die Krim die westlichen Partner überrumpelt. Zum anderen wirken Breschnew und Brandt auf den Bildern wie in einem gemeinsamen Urlaub: Sie fahren mit dem Boot über das Schwarze Meer, gehen zusammen schwimmen. Offiziell sprechen die beiden unter anderem über die Folgen des Viermächteabkommens.

    Stauffenbergs Informanten orakeln, was Brandt und Breschnew besprochen haben könnten. Einer der Zuträger spricht von »geheimen Konzessionen«. Wieder einmal sucht ein Vertrauensmann des Dienstes Kissinger zu einem privaten Gespräch auf. Anders als sonst entschließt sich Stauffenberg, den anschließenden Bericht komplett abzudrucken. Er mahnt jedoch die Empfänger: »Die naheliegende Enttarnung des Informanten legt eine entsprechend vorsichtige Verwendung dieser Information dringend nahe.« Der Zuträger wird mit Genugtuung die Skepsis seines Gesprächspartners notiert haben. Er fragt den amerikanischen Sicherheitsberater, was er von Brandts Besuch auf der Krim halte. Kissinger soll geantwortet haben: »Wir haben von ihm einen Bericht darüber bekommen, aber wie viel gesagt wurde und was verborgen blieb, werden erst Zeit und weitere Informationen erweisen. Natürlich haben wir all das nicht gerne gehabt, und der Präsident hat nicht gezögert, die Deutschen davon in Kenntnis zu setzen.« Dann folgt die schärfste Rüge. Der Informant schreibt, Kissinger habe ihm zum Alleingang Brandts gesagt: »Daß Deutschlands neue SPD-Führer das Gefühl haben, es sei für sie an der Zeit, wie Erwachsene zu handeln, das verstehen wir und glauben auch, daß West-Deutschland wie ein Erwachsener handeln sollte. Aber manchmal machen auch Erwachsene Fehler, törichte Fehler, und handeln dumm.«

    All dies deutet an, dass die Zeiten für die sozialliberale Regierung schwieriger werden. Im Frühjahr 1972 verlassen wieder drei Abgeordnete die SPD/FDP-Fraktion. Zeitungen drucken aus dem Zusammenhang gerissene und wohl auch gefälschte Auszüge aus den Gesprächsaufzeichnungen von Bahr in Moskau. Oppositionsführer Barzel wagt ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler und scheitert knapp.

    In der folgenden Parlamentsabstimmung über den Bundeshaushalt verpasst Brandt die Mehrheit, seine Regierung hat keinen Rückhalt mehr. Der Kanzler berät sich mit seinem Herausforderer Barzel, wie es weitergehen soll. Sie beschließen, die Ostverträge passieren zu lassen und den Weg für Neuwahlen frei zu machen.

    Die Lösung sieht so aus, dass die Mitglieder der Unionsparteien sich der Stimme enthalten sollen. Ein Zuträger des Stauffenberg-Dienstes schickt am 13. Mai 1972 die Kurzmeldung, der Direktor des amerikanischen Geheimdienstes CIA, Richard Helms, habe auf diese Konzessionsbereitschaft der Opposition erbost reagiert. Seine Worte sollen gewesen sein: »Die sind komplett verrückt geworden; aber das wird Barzel teuer zu stehen kommen, der wird nie Bundeskanzler werden.«

    Einer, der sich nicht an die Empfehlung seiner Fraktion halten wird, ist Guttenberg. Da er schon im Februar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an den Parlamentsdebatten teilnehmen konnte, warnte er den Kanzler per Brief: »Die erste deutsche Demokratie ging zugrunde, weil die Demokraten der Mitte und der Rechten die Gefahr des braunen Faschismus nicht sahen oder nicht sehen wollten. Die zweite deutsche Demokratie, unsere Bundesrepublik, ist heute in ihrem Selbstverständnis und damit in ihrer Existenz gefährdet, weil nun die Demokraten der Linken die Gefahr des roten Faschismus verharmlosen.« Er wird im Rollstuhl zur Wahlurne gefahren, auf dem Stimmzettel hat er »Nein« angekreuzt.

    In seinen letzten Wochen kann er sich bei völliger geistiger Klarheit nur noch mit Handzeichen verständlich machen. Am 4. Oktober 1972 stirbt Guttenberg. Die Anhänger des Dienstes verlieren nicht nur den politischen Kampf im Parlament, sondern auch ihren wichtigsten Unterstützer.
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    Stauffenberg hält jedoch an seinem Informationsdienst fest. Er erschließt neue Quellen für den Dienst, löst sich bald vom Thema der Ostpolitik. Ein Insider attestiert seinem Netzwerk Anfang der achtziger Jahre, hochprofessionell zu arbeiten.

    Von: Stefanie Waske
    02.12.2012 – 08:26 Uhr

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    Quelle: ZEITmagazin, 29.11.2012 Nr. 49
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