Einem Medienbericht zufolge hat der italienische Geheimdienst den Bundesverfassungsschutz bereits 2003 auf ein Netz rechtsextremer Terrorzellen hingewiesen. Wegen der Vernichtung von Akten im Zusammenhang mit der „NSU“-Mordserie steht Verfassungsschutz-Präsident Fromm weiter in der Kritik.
Erklärungsbedarf: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm (r.), und Thüringens Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel
Der Bundesverfassungsschutz hat einem Medienbericht zufolge offenbar im März 2003 Hinweise auf ein Netz rechtsextremer Terrorzellen in Deutschland erhalten. Die „Berliner Zeitung“ berichtete am Montag über ein Schreiben des italienischen Inlandsgeheimdienstes AISI an den Verfassungsschutz vom Dezember 2011, in dem auf ein Schreiben von März 2003 verwiesen werde.
Darin sei über ein Treffen europäischer Neonazis berichtet worden, auf dem italienische Rechtsextremisten „bei vertraulichen Gesprächen von der Existenz eines Netzwerks militanter europäischer Neonazis erfahren“ hätten. Dieses Netzwerk bilde eine „halb im Untergrund befindliche autonome Basis“ und sei in der Lage, „mittels spontan gebildeter Zellen kriminellen Aktivitäten nachzugehen“, zitierte die Zeitung aus dem Schreiben. In einem vertraulichen Zusammenhang seien in diesem Zusammenhang die Namen mehrerer ranghoher deutscher Rechtsextremisten genannt worden.
Aus dem Schreiben geht der „Berliner Zeitung“ zufolge außerdem hervor, dass deutsche Neonazis insbesondere aus Bayern und Thüringen seit Jahren enge Beziehungen nach Italien pflegen. Der rechtsextremen Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) werden in Deutschland neun Morde an Migranten sowie an einer Polizistin vorgeworfen.
Fromm weiter in der Kritik
Wegen der Aktenvernichtung im Zusammenhang mit der Mordserie durch die NSU haben Politiker nicht nur der Opposition unterdessen weitere Aufklärung sowie teils Konsequenzen an der Spitze des Verfassungsschutzes gefordert. Bundestagsvizepräsidentin Pau, für die Linkspartei Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss, äußerte am Sonntag in einer Mitteilung die Fragen: „Galt die Aktenschredderei im Verfassungsschutz als das kleinere Übel? Wenn ja, was wäre dann das größere?“ Dies sei offenbar der Inhalt der Akten gewesen.
Frau Pau sagte: „Möglicherweise waren Verfassungsschützer näher und länger am NSU-Mord-Trio dran, als bislang eingestanden wird. Das wäre ein Skandal sondergleichen.“ Auch der Parteivorsitzende der Grünen Cem Özdemir sagte: „Da kommen viele Fragezeichen auf, die dringend aufgearbeitet werden müssen.“ Özdemir befand, es reiche nicht aus, nur Beamte zu versetzen. „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“
Der Zwickauer Neonazi-Zelle werden zehn Morde in ganz Deutschland angelastet
Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger verlangte eine Offenlegung der Klarnamen von V-Leuten des Verfassungsschutzes. „Neben einer Rekonstruktion der Inhalte über andere Akten und einer Befragung von Zeugen muss der Untersuchungsausschuss in geeigneter Form Einblick in die Klarnamendatei der V-Leute ermöglicht werden“, erklärte der Unions-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages: „Wir müssen unbedingt eine Vorstellung bekommen, wer die V-Leute tatsächlich waren, die in den Akten beschrieben wurden.“
Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer griff direkt den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, an. Er sagte in der „Bild“-Zeitung: „Die Affäre wirft die Frage auf, ob Fromm den Verfassungsschutz noch im Griff hat. Das muss Konsequenzen haben.“ Der FDP-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Hartfrid Wolff, nannte den Vorgang im Südwestrundfunk (SWR) „sehr, sehr gravierend“.
Fromme: „Erheblicher Vertrauensverlust“
Fromm sagte der Zeitschrift „Der Spiegel“: „Nach meinem derzeitigen Erkenntnisstand handelt es sich um einen Vorgang, wie es ihn in meiner Amtszeit bisher nicht gegeben hat. Hierdurch ist ein erheblicher Vertrauensverlust und eine gravierende Beschädigung des Ansehens des Amtes eingetreten.“
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Quelle: FAZ.NET mit AFP/dpa/löw.
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