Ein CIA-Team reist nach Italien, entführt einen Verdächtigen nach Ägypten. Dort wird er mehr als ein Jahr lang verhört und gefoltert. Auf der IT-Konferenz Black Hat berichtete ein Reporter jetzt, wie Telefon-Metadaten die CIA-Operation verrieten – und Dutzende Agenten enttarnten.
“Ich habe keinen technischen Hintergrund”, entschuldigt sich Matthew Cole, Journalist bei NBC News, bei den Besuchern der IT-Sicherheitskonferenz Black Hat in Las Vegas, “aber ich habe eine Geschichte für euch.” Einen Spionagethriller, bei dem Metadaten eine geheime Entführung der CIA verraten.
Der Zugriff erfolgt am 17. Februar 2003 in Mailand. Nach wochenlanger Beobachtung entführt ein CIA-Team den Imam Abu Omar aus Italien und bringt ihn mit einem kleinen Flugzeug über Ramstein in Deutschland nach Ägypten. Dort wird er 14 Monate lang gefangen gehalten und verhört. “Es war die Zeit nach den Anschlägen vom 11. September, die CIA suchte wie besessen weltweit nach Qaida-Anhängern”, sagt Cole. Der SPIEGEL berichtete im Jahr 2006 ausführlich über den Fall.
Abu Omar, der in der Mailänder Islamistenszene gegen die USA gehetzt und selbst in Afghanistan gekämpft hatte, stand im Verdacht, Kämpfer für al-Qaida zu rekrutieren. Die CIA handelt, ohne die italienischen Behörden zu informieren, und lässt Abu Omar verschwinden. Die italienische Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf. Sie weiß durch eine Zeugin, wann das Entführungsopfer wo zuletzt gesehen wurde. “Die Polizei hatte den Ort und den Tag des Verschwindens”, sagt Cole. Von den Mobilfunkprovidern fordern die Ermittler die Funkzellendaten an. Sie wollen wissen, welche Mobiltelefone sich am Tag der Entführung in der Gegend befunden haben. “Aber es gab ein paar Probleme, das zog sich hin”, sagt Cole.
Muster und Zusammenhänge in großen Datenmengen
Dann klingelt bei Abu Omars Ehefrau in Mailand das Telefon: Die Ägypter haben ihn freigelassen, nach 14 Monaten. Abu Omar erzählt von seiner Entführung und von Folter. Die italienischen Ermittler hören mit, der Anschluss wird überwacht. Der Verdacht bestätigt sich nun: Es gab eine verdeckte Operation, die USA könnten dahinterstecken. “Gleichzeitig konnten die Daten ausgewertet werden”, sagt Cole. Die Italiener nutzen dazu eine Software namens Analyst’s Notebook. Das Programm findet in großen Datenmengen Muster und Zusammenhänge.
Tatsächlich liefert Analyst’s Notebook einen Hinweis: eine Reihe von Handys, deren Besitzer nur untereinander kommunizieren. Die italienischen Ermittler sehen sich diese Telefonnummern genauer an, untersuchen die Verbindungsdaten und stoßen auf ein Netzwerk: “Sie fanden 18 Personen und 35 Telefone”, sagt Cole. Mit den Daten, welches Telefon wann in welcher Funkzelle eingebucht war, können sie Bewegungsprofile erstellen. Zwei Monate vor der Entführung werden die Telefone aktiviert, zwei Tage danach abgeschaltet.
Die CIA-Agenten nehmen nicht die Akkus aus den Handys
Mehr als ein Jahr nach der Entführung können die italienischen Behörden nachvollziehen, wie die Operation abgelaufen war. “Sie konnten sehen, wie die CIA-Agenten Abu Omar observierten. Nach einem Acht-Stunden-Tag nahmen die Agenten nicht etwa den Akku aus den Telefonen, sondern sie gingen schlafen.”
Die Telefone lagen eingeschaltet über Nacht mehrere Stunden an einem Ort. “Also gingen die Ermittler los, fanden Hotels und fragten nach amerikanischen Gästen.” Einer der Agenten, der für den Kontakt zwischen dem Entführungsteam und dem örtlichen CIA-Quartier zuständig war, hatte dabei seinen richtigen Namen genutzt. Cole macht ihn später in den USA ausfindig. “Ich kann nicht empfehlen, bei ihm zu Hause an die Tür zu klopfen. Er reagiert etwas empfindlich auf seine Enttarnung”, sagt Cole. Einen Schlag ins Gesicht habe er abbekommen.
Die italienischen Ermittler haben Glück: Sie können eine Verbindung zur CIA nachweisen. Nachlässigkeiten seitens des Geheimdiensts tragen dazu bei: “Die Agenten hatten Kreditkarten mit ähnlichen Nummern.” Außerdem finden sie durch die Verbindungsdaten heraus, das ein Telefon, das bei der Entführung genutzt wurde, später mit neuer Sim-Karte für Kontakte zur CIA-Station genutzt wurde.
“Metadaten verraten viel mehr”
“In der aktuellen Debatte um Metadaten heißt es doch: Inhalte von Gesprächen würden nicht erfasst, es gebe kein Problem mit der Privatsphäre”, sagt Cole. Die aufgedeckte CIA-Operation zeige das Gegenteil: “Metadaten verraten viel mehr.” Mit Hilfe von Netzwerkanalyse und Datenvisualisierung kommt die Staatsanwaltschaft der CIA auf die Spur. 2009 verurteilt ein Gericht in Mailand 22 US-Staatsbürger zu fünf Jahren Gefängnis, ein Angeklagter bekommt acht Jahre Gefängnis, drei Amerikaner werden mit dem Verweis auf diplomatische Immunität freigesprochen.
“Der Fall hat immer noch reale Konsequenzen”, sagt Cole. “Soweit ich weiß, gibt es keinen Auslieferungsantrag.” Italien wolle es sich wohl mit den USA nicht verscherzen. “Aber die enttarnten Agenten können nicht mehr ohne weiteres reisen”, sagt Cole. Beim Geheimdienst sei der Fall als “Italian Job” bekannt, benannt nach einem Filmklassiker. Bei der Untersuchung, wie das alles passiere konnte, soll einer der Agenten gesagt haben: Ihnen sei erzählt worden, dass ein Handy versteckt in einer Packung Chips keine Signale mehr aussenden könne. “Er meine wohl einen Faradayschen Käfig. Dafür ist eine Chipstüte nicht stark genug”, sagt Cole.
Ein weiterer Fall, in dem Metadaten zur Enttarnung von CIA-Mitarbeitern genutzt wurde, ging für den Geheimdienst weniger glimpflich aus. Cole erzählt, dass die Hisbollah 2011 in Beirut zwei Doppelagenten einschleusen konnte. “Die Hisbollah hat dann 90 Prozent des Informanten-Netzwerks im Libanon aufgedeckt. Sie haben sich die Metadaten angesehen, die Telefone ausgewertet.” Viele der Informanten und Agenten seien festgenommen und vermutlich getötet worden, sagt Cole.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde ein US-Staat namens North Virginia erwähnt. Natürlich gibt es einen Staat dieses Namens nicht, nur Virginia und West Virginia. Wir haben den Fehler entfernt und bitten, ihn zu entschuldigen.
02. August 2013, 12:38 Uhr
Aus Las Vegas berichtet Ole Reißmann
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